Neuköllner Alltägliches

Nachrichten aus Neuköllner Zeitungen vor 100 Jahren, bearbeitet von M. Rempe

Neuköllnische Zeitung, Sonnabend, 4. 9. 1920
15 Millionen Mark für das Rittergut Britz. Der Ankauf des ehemmaligen Rittergutes Britz ist seitens der Gemeinde Britz beschlossen worden. Es fehlt allerdings noch die Genehmigung Groß=Berlins. Interessant sind die Preise, die für das Rittergut früher gezahlt wurden. Während es im Jahre 1800 mit 42 000 Talern bewertet wurde, kaufte es der Ehegatte der letzten Eigentümerin, der Spiritusbrenner Wrede, in den sechziger Jahren für 900 000 Mark. Jetzt sollen nun 15 Millionen Mark für das etwas vergrößerte Gut bezahlt werden.

Neuköllnische Zeitung, Montag, 6. 9. 1920
Die Neuköllner Schnellbahnbauten. Die Notstandsarbeiten in Neukölln sind nunmehr auf fast allen der für den Bau zunächst in Aussicht genommenen Untergrundbahnstrecken im Gange. In der Nähe des Herrmannplatzes sind die Schachtarbeiten fast völlig beendet. Auf der ganzen, etwa 2,5 Kilometer langen Strecke sind außer dem Gemeinschaftsbahnhof »Hermannstraße« noch drei weitere Bahnhöfe ge­plant, die ebenfalls zum Teil schon in Angriff genommen worden sind, und zwar die Bahnhöfe »Fuldastraße« zwischen der Fulda= und Boddinstraße, »Steinmetzstraße«, zwischen der Steinmetz= und Goethestraße, und »Südring«, dessen einer Ausgang direkt unter der Bahnüberführung der Bergstraße vor dem Eingang zum Ringbahnhof Neukölln zu liegen kommt.

Neuköllner Tageblatt, Freitag, 17. 9. 1920
Mit Rücksicht auf das in letzter Zeit häufigere Auftreten von Ruhr wird amtlich die gesetzliche Anzeigenpflicht in Erinnerung gebracht. Die Ruhr ist eine ausgesprochene Schmutzkrankheit. Der wirkliche Schutz gegen die Ruhr ist daher Sauberkeit der Hände. Vor dem Essen und nach jeder Notdurft Hände waschen! Hausfrauen und Köchinnen mögen sich beim Herrichten von Speisen aller Art größter Sauberkeit befleißigen. Gewarnt sei auch vor unreifem Obst und verdorbenen Nahrungsmitteln, die zwar an sich keine Ruhr verursachen, aber durch Erzeugung von Magen= und Darmkatarrhen das Entstehen der Ruhr begünstigen können. Ruhrkranke finden die beste Pflege in einem Krankenhaus. Nur durch schleunige Absonderung der Kranken und Infizierten in einem Krankenhaus werden ihre Familienangehörigen und Arbeitsgenossen in wirksamer Weise gegen die Uebertragung der Ruhr geschützt.

Neuköllnische Zeitung, Sonnabend 18. 9. 1920
Ausbau von Dachwohnungen in Neukölln. Nach den bisherigen Beobachtungen sind in Neukölln noch zahlreiche Häuser vorhanden, deren Dachgeschosse für den Ausbau von Notwohnungen geeignet sind. Zur Verminderung der noch in stetem Wachstum begriffenen Wohnungsnot werden die in Frage kommenden Hauseigentümer ersucht, unverzüglich dem Magistrat, Abteilung für Notwohnungen, Rathaus, Zimmer 348, entsprechende Mitteilung zugehen zu lassen. Für den Ausbau solcher Dachwohnungen oder sonstigen für Wohnzwecke geeigneten Räume wird ein entsprechender Baukostenzuschuß gewährt. Auf Wunsch wird die Projektaufstellung sowie die Beaufsichtigung von der städtischen Hochbauverwaltung kostenlos übernommen.

Neuköllner Tageblatt, Sonntag, 19. 9. 1920
Auf eigenartige Weise schwer verunglückt ist am Freitag abend gegen 10 Uhr der Arbeiter Wilhelm Kersten, Richardstraße 65 wohnhaft. K ging, auf dem Heimwege begriffen, die Richardstraße entlang. Als er sich vor dem Hause Nr. 99 befand, wurde plötzlich aus einem Fenster der 3. Etage ein schwerer Gartentisch auf die Straße herabgeworfen. Derselbe fiel dem K. unglücklicherweise auf den Kopf, so daß K. schwerverletzt zusammenbrach und nach dem Krankenhause in Buckow überführt werden mußte. Der Tisch soll von einem Mieter A., der betrunken war, aus Wut zum Fenster hinausgeworfen worden sein, ein Streich, der dem A. teuer zu stehen kommen dürfte.

Die Transkription der Zeitungstexte wurde mit Fehlern in der Rechtschreibung aus den Originalen von 1920 übernommen. Die Originale befinden sich in der Zentral- und Landesbibliothek,
Breite Straße 30, 10178 Berlin.

Vom Fachwerkhaus zum Schloss

Die wechselvolle Geschichte des Gutshofes in Britz

Das prächtige Gutshaus in Britz wurde Anfang des 18. Jahrhunderts an der Stelle eines mittelalterlichen Fachwerkhauses erbaut und war als Herrenhaus im Besitz hochrangiger preußischer Hofbeamter und Staatsminister.

Schlossansicht vom Garten.    Foto: mr

Seine Blütezeit erlebte Schloss Britz unter Ewald Friedrich Graf von Hertz­berg (1725–1795). Er führte den Seidenbau in Britz ein und setzte eine mustergültige Landwirtschaft nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen um. Es entstand auch eine der modernsten Dorfschulen seiner Zeit in Britz.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts übernahmen bürgerliche Fabrikanten den Besitz. Der Seidenhändler Carl Jouanne ließ den Gutshof im italienischen Landhausstil renovieren. Erstmals wurde auch eine Brennerei zur Produktion von Kartoffelschnaps errichtet.
Wilhelm August Julius Wrede, Branntweinhändler und Bankdirektor der Branntweinhandelsgesellschaft, kaufte das Gut 1865. Er ließ das Landhaus zum Schloss umbauen, die Fassade im Neorenaissance-Stil erneuern, einen Turm hinzufügen und beauftragte den Garteninspektor Wilhelm Nalop mit der Anlage des Gutsgartens.
Der Verkauf durch die Wredeschen Erben erfolgte erst 1924. Die Stadt Berlin kaufte das etwa 2.500 Hektar große Rittergut für rund sechs Millionen Mark. Auf einem Teil des Geländes entstand ab 1925/26 die von Bruno Taut entworfene Hufeisensiedlung. Die Räume des Herrenhauses wurden an Privatpersonen vermietet, das Gut verpachtet.
Von 1945-53 diente das Haus als Flüchtlingsheim und wurde danach vom Bezirksamt Neukölln als Kinderheim genutzt.
1985 bis 1988 wurde Schloss Britz vorbildlich restauriert und mit hervorragenden, sorgfältig ausgesuchten Möbeln und Gemälden aus der Zeit des Historismus ausgestattet.
Seit 1989 ist die »Kulturstiftung Schloss Britz« für das kulturelle Programm zuständig.

mr